Palfinger

Digitalisierung als Chance sehen

Philipp Smole ist EVP Corporate Incubator bei Palfinger.

Wert für die Kunden zu erzeugen statt eine Technologie zu pushen ist das Ziel von Palfinger. Das gilt für Maschinen ebenso wie für digitale Produkte, sagt Philipp Smole, EVP Corporate Incubator bei Palfinger. Im ABZ-Interview stellt er die neuesten Ideen und Projekte vor. Die Fragen stellte ABZ-Redakteurin Sonja Weiße.

ABZ: Sie sind EVP Corporate Incubator bei Palfinger. In dieser neu geschaffenen Position leiten Sie eine Ideenwerkstatt mit 14 Mitarbeitern. Wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen? Wie kommen Sie auf Ihre Ideen?

Smole: Ich habe den wahrscheinlich spannendsten Job, den man sich vorstellen kann. Mein Team und ich haben den Auftrag, anzustiften, zu vernetzen und vorzudenken. Wir setzen uns für eine Umgebung ein, in der wir gemeinsam Dinge ausprobieren, Fehler machen und aus ihnen lernen können. Wenn wir einen Added Value für unsere Kunden schaffen wollen, brauchen wir eine Innovationskultur, die nahe am Kunden und mit einem tiefen Verständnis seiner Bedürfnisse ansetzt. Eine erfolgreiche Palfinger-Kernorganisation, ein schlagkräftiges, innovatives Team und ein Netzwerk aus den richtigen Partnern liefert ständig Input für neue Ideen, Ansätze und Möglichkeiten. Gemeinsam mit den unterschiedlichen Palfinger Produktlinien entwickeln wir neue Lösungen wie Palfinger Connected, Smart Eye oder Virtual Drive.

ABZ: Sie sind seit Anfang vergangenen Jahres bei Palfinger. Was konnten Sie in dieser Zeit schon erreichen? Welche Ideen und neuen Ansätze gibt es bei Palfinger im Bereich der Digitalisierung?

Smole: Wir sehen Digitalisierung als Chance, nicht als Herausforderung. Um erfolgreiche Wertschöpfungsmodelle zu identifizieren, reichen neue Technologien nicht aus – wir müssen Probleme unserer Kunden lösen! Das reicht von neuen Anwendungsmöglichkeiten unseres bestehenden Equipments, etwa durch digitale Assistenzsysteme und teilautonome Funktionen bis zu gänzlich neuen Technologien und Geschäftsmodellen. Jüngstes Beispiel für letzteres ist unser neues Jointventure Strucinspect, das die Maintenance von Infrastruktur-Bauwerken revolutionieren wird.

Das Telematik-Programm Palfinger Connected besteht aus zwei Anwendungen, dem Fleet Monitor und dem Operator Monitor. Der Fleet Monitor (Foto) ist eine Webanwendung für den Flottenmanager, Disponenten und Servicemanager. Der Operator Monitor ist eine mobile App für den Kranfahrer. Diese beiden digitalen Werkzeuge zeigen u. a., wo sich welche Geräte im Einsatz befinden, wie viel Arbeitsstunden absolviert sind und wie Kran und Ladung optimal eingesetzt werden.Fotos: Palfinger

ABZ: Strucinspect soll eine schnellere Inspektion von Eisenbahn- und Straßenbrücken ermöglichen. Wie funktioniert das?

Smole: Im Vergleich zu anderen Lösungen am Markt sind wir mit unseren Joint-Venture-Partnern, dem Ziviltechnikbüro VCE und dem Vermessungsspezialist Angst, in der Lage, die Gebäudeinspektion mittels Sensoren, Drohnen und künstlicher Intelligenz durchzuführen. Aus den Daten wird ein digitaler Bauwerks-Zwilling modelliert und innerhalb von 48 Std. einen vollumfänglichen Maßnahmenkatalog erstellt. Mit herkömmlichen Methoden dauert dieser Prozess ca. zwei bis drei Wochen. Durch den Einsatz modernster Datenerfassung, 3D-Datenverarbeitung und AI-unterstützter Auswertung gestalten wir den bislang sehr arbeits- und zeitintensiven Prozess der Bauwerksinspektion somit wesentlich effizienter. Das Interesse an unserer Technologie ist sehr groß und der Bedarf ist riesig. Allein in Deutschland gibt es 40 000 Straßen- und 250 00 Eisenbahnbrücken, die in den nächsten Jahren überprüft und saniert werden müssen. Wir schätzen den europäischen Markt auf ca. 100 Mio. Euro – international ist das Potenzial noch deutlich größer.

ABZ: Kann eine solche Überprüfung wirklich genauso gründlich sein und genauso gute Ergebnisse liefern wie ein Mensch, der sich die Brücke selber ansieht?

Smole: Der Bauwerksingenieur spielt weiterhin eine zentrale Rolle. Strucinspect kombiniert vom Prinzip das Beste aus beiden Welten. Die zeitaufwändige Sichtung vor Ort durch den Bauwerksingenieur wird durch einen hochgradig automatisierten Prozess der Datenerfassung ersetzt. Dieser Prozess ermöglicht uns eine vollständige Erfassung und Archivierung des Bauwerkszustands zu einem beliebigen Zeitpunkt, wesentlich umfassender und gründlicher als es bei einer klassischen Prüfung vor Ort möglich wäre. Künstliche Intelligenz sucht dann im digitalen Zwilling automatisch nach spezifischen Schäden und Mängeln und hat dabei bereits eine Trefferquote mehr als 99 %. Mit dieser umfassenden Datenbasis ausgestattet, kann der Bauwerksingenieur dann wesentlich schneller und präziser den Zustand bewerten und die finale Beurteilung vornehmen. Diese obliegt immer dem Menschen, der auch die Verantwortung für die richtige Beurteilung und damit Sicherheit des Bauwerks trägt. Die neue Lösung liefert, neben einer höheren Wirtschaftlichkeit und Transparenz, daher mindestens so gute Ergebnisse wie eine durch einen Experten ausgeführte klassische Prüfung vor Ort.

ABZ: Palfinger Epsilon hat unter dem Namen "Virtual Drive" zudem den Prototyp einer Datenbrille zur Kransteuerung entwickelt. Was hat ein Kranführer davon, den Kran mit einer Brille zu steuern?

Smole: Unser Ziel ist nicht, eine Technologie zu pushen, sondern Wert für unsere Kunden zu erzeugen. Das gilt für unsere Maschinen genauso wie für unsere digitalen Produkte. Deshalb arbeiten wir an Produktlösungen, die Arbeitsabläufe erleichtern und die Arbeit mit unseren Produkten noch komfortabler und noch sicherer machen. Im Fall von Virtual Drive visualisiert das digitale Steuerungssystem mittels Virtual Reality die reale Umgebung. Diese durchdachte Sichtfelderweiterung ermöglicht eine Bedienung der Produkte ohne sich äußeren Witterungseinflüssen wie Regen, Schnee oder Hitze aussetzen zu müssen und das das Unfallrisiko wird minimiert da der Anwender weniger oft seine Position wechseln muss.

Palfinger bietet mit Partnern bei dem neuen Jointventure Strucinspect die Gebäudeinspektion mittels Sensoren, Drohnen (siehe Pfeil) und künstlicher Intelligenz an. Aus den Daten wird ein digitaler Bauwerks-Zwilling modelliert. Strucinspect soll eine schnellere Inspektion von Eisenbahn- und Straßenbrücken ermöglichen.

ABZ: Die Abteilung Corporate Service Software stellt auf der bauma auch den Augmented-Reality-Support "Smart Eye" vor. Über ein kleines Tablet mit Kamera, Display und Lautsprecher, das an einem Helm befestigt ist, sollen Servicetechniker künftig Unterstützung aus der Zentrale erhalten können. Für welche Fälle ist das hilfreich?

Smole:Smart Eye wurde entwickelt, um Servicetechnikern im Außendienst ihre Arbeit zu erleichtern. Das innovative Support-Tool hilft Fehler schneller zu diagnostizieren und unterstützt bei allfälligen Reparaturen. Dadurch werden Stillstandzeiten von Produkten minimiert, wodurch Kunden und Servicepartnern Zeit und Geld sparen. Smart Eye beschleunigt v. a. schwierigere oder selten durchgeführte Reparatur- und Servicearbeiten. In anspruchsvollen Situationen ist die Remote-Lösung mit Echtzeit-Übertragung ein sicheres und effizientes Servicetool: Der Techniker kann freihändig weiterarbeiten, während er Audio- und Video-Support erhält. Um Sprachprobleme zu vermeiden, wird die mündliche Kommunikation durch hochauflösende Grafiken ergänzt.

ABZ: Palfinger will die Handhabung seiner Produkte komfortabler machen. U. a. wird das Unternehmen auf der bauma einen mit Telematik ausgestatteten Kran mit einem Flottenmanager und einer entsprechenden App für Kranfahrer präsentieren. Wird dadurch die Handhabung nicht eher komplizierter statt komfortabler, da der Kranführer auf noch mehr achten muss?

Smole:Nein, die Applikationen erfordern keinerlei Eingabe oder Interaktion während der Kernaufgabe, dafür haben Kranfahrer und Flottenmanager zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, auf wichtige Betriebsinformationen zuzugreifen, die sie bei ihren Aufgaben unterstützen. Durch die Analyse der gesammelten Daten kann die Uptime maximiert und die Leistung der Maschinen und Anwender verbessert werden. Palfinger hat mit dem Fleet Monitor und dem Operator Monitor zwei intelligente digitale Werkzeuge entwickelt, die in der Praxis eine höhere Produktivität bringen und dem Anwender mehr Komfort bieten. Unser Ziel sind digitale Innovationen, die die Arbeit einfacher und effizienter gestalten ohne die Zuverlässigkeit unserer Produkte zu vernachlässigen.

ABZ: Viele der neuen Funktionen sind abhängig vom Internet. Die Abdeckung ist in Deutschland aber – gerade in ländlichen Bereichen – nicht überall besonders gut. Wie können die modernen Maschinen in solchen Fällen trotzdem arbeiten?

Smole: Um der Herausforderung der fehlenden kontinuierlichen Netzabdeckung zu begegnen, stellen wir sicher, dass die notwendige Funktionalität auch ohne Verbindung möglich ist.

ABZ: Sie sagten einmal, Sie sehen viel Potenzial in Machine Learning. Nicht mehr nur der Mensch werde künftig steuern, zunehmend würden autonome Maschinen Funktionalität übernehmen. In Zeiten des Fachkräftemangels können viele Unternehmer dieser Vorstellung sicherlich viel abgewinnen. Wo sehen Sie die potentiellen Anwendungsfelder hierfür bei Palfinger?

Smole: Wir sehen Anwendungen in der gesamten Wertschöpfungskette. Das reicht vom Entwicklungsprozess über Assistenzsysteme in der Fertigung bis hin zu Services wie Strucinspect.

ABZ: Welche Projekte planen Sie für die Zukunft?

Smole: Wir haben derzeit noch einige weitere spannende Projekte in der Pipeline. Mit instructable stellen wir auf der bauma eine mit Palfinger-Platforms entwickelte Konzeptpräsentation der digitalen Instruktion und Übergabe vor. Diese soll in Zukunft die Vermietung von Hubarbeitsbühnen enorm erleichtern, da sie Instruktionsprozesse verkürzt, den Zugriff auf wichtige Daten erleichtert und die Dokumentation zuverlässiger gestaltet. Davon werden vor allem Instruktoren und Kunden von Vermietfirmen unmittelbar profitieren.